Täglich widerfährt Frauen unter der Geburt psychische und körperliche Gewalt. Am 25. November, Roses Revolution Day, sind Frauen aufgerufen, diese Gewalt anzuklagen.
Gewalt unter der Geburt – ein Tabu
Gebärenden wird viel zu oft während der Geburt durch das geburtshilfliche Personal Gewalt angetan. Die Öffentlichkeit ist nahezu völlig ahnungslos. Das Thema wurde bislang totgeschwiegen und scheint eines der letzten tatsächlichen Tabu-Themen in unserer westlich-zivilisierten Gesellschaft zu sein. Doch obwohl die Medien in den vergangenen Jahren das Thema fast vollständig ausgeblendet haben, haben sich in den sozialen Netzwerken Tausende von betroffenen Frauen zusammengefunden.
Frauen beginnen die Gewalt anzuprangern
Vor drei Jahren begannen Betroffene, sich zu vernetzen und auszutauschen. Die internationale Nichtregierungsorganisation Human Rights in Childbirth (HRIC) wurde 2012 gegründet und Dr. Katharina Hartmann brachte 2013 von der HRIC-Konferenz in Belgien die Idee des Roses Revolution Day mit nach Deutschland.
Am 25.11., dem Roses Revolution Day, dem Tag gegen Gewalt in der Geburtshilfe, sind betroffene Frauen dazu aufgerufen, eine rosafarbene Rose vor die Tür zu legen, hinter der ihnen Gewalt angetan wurde. Dieses Jahr legen Frauen zum dritten Mal in Deutschland Rosen vor Kreißsaaltüren nieder – oft zusammen mit einem Bericht über die Gewalt, die ihnen widerfahren ist. Die Mütter fotografieren dies und posten die Bilder in den sozialen Netzwerken, wo sie organisiert sind und sich gegenseitig über die erlebten Gewalttaten austauschen.
Was bedeutet „Gewalt unter der Geburt“?
Da diese Verbrechen absolut tabuisiert sind, ist es für die meisten Menschen schwierig, sich vorzustellen, inwiefern eine Gebärende Opfer von Gewalt werden kann. Wir haben ein sehr positiv besetztes Bild von der Geburt eines Menschen. Es ist das Wunder des Lebens – doch für viele Frauen ist es auch das Trauma ihres Lebens. Dies gedanklich zusammen zu bringen ist nicht einfach.
Die Gewalt hat viele Facetten
Die Frauen sollten unterstützt und respektvoll sowie wertschätzend behandelt werden in einer so anstrengenden und auch schmerzhaften Phase ihres Lebens. Stattdessen werden oft ihre Rechte mit Füßen getreten. Gewalt unter der Geburt umfasst psychische als auch körperliche Übergriffe. Sie beginnt beim
- nicht ernst nehmen,
- auslachen,
- beleidigen,
- unter Druck setzen,
- ignorieren,
- allein lassen,
- dem Missachten der Rechte der Gebärenden
- und reicht bis hin zu
- verweigerten Schmerzmitteln,
- dem nicht genehmigten Verabreichen von Medikamenten,
- unnötig vielen und brutalen vaginalen Untersuchungen,
- unnötigen und nicht genehmigten Damm- und Kaiserschnitten
- und weiteren Eingriffen in die Rechte und die Körper der Gebärenden.
Auch die Hebammen leiden unter der Gewalt
Dabei sind nicht nur die Gebärenden selbst von der Gewalt traumatisiert. In den sozialen Netzwerken und in meinem Buch „Gewalt unter der Geburt“ äußern sich auch viele Hebammen und berichten, was sie selbst erleben und mitansehen mussten. Wie oft sie ihre Ausbildung bereits abbrechen wollten, weil sie die tägliche Gewalt nicht mehr ertrugen. Die (werdenden) Hebammen fühlen sich zum Teil als Mittäterinnen oder zur Mittäterschaft genötigt. Aber sie sind auch oft selbst traumatisierte Zeuginnen und somit Mitopfer. Als besonders belastend erleben sie die Tatsache, dass sie meist zusehen müssen und nicht helfen können – eine Form der Traumatisierung, die auch die Väter häufig betrifft.
Geburtskultur befindet sich im Wandel
Die Geburtshilfe wird seit Jahren immer medizinisch-technischer. „Normale“ interventionsfreie Geburten finden quasi kaum noch statt. Lediglich 6 % der Geburten verlaufen noch ohne äußere Eingriffe, ohne Operationen, Medikamente oder mechanische Entbindungshilfen.
Angeblich immer mehr „Risikoschwangerschaften“
Schwangerschaft und Geburt werden zunehmend pathologisiert. Dies zeigt sich auch daran, dass 1990 noch 34% der Schwangerschaften als Risikoschwangerschaft eingestuft wurden, während es im Jahr 2013 bereits 76,3 % waren. Die Risikoschwangerschaft ist also inzwischen der Standard geworden. Das liegt sicher zum Teil daran, dass die Erstgebärenden älter werden und mit künstlichen reproduktiven Maßnahmen sehr „kostbare“ Kinder empfangen werden. Entsprechend rechtfertigt man in den Kliniken auch die Zunahme der Interventionen, wie die medikamentöse Einleitung der Wehen, den Dammschnitt, den Kaiserschnitt und viele weitere Eingriffe.
Mehrwert der Eingriffe bleibt fraglich
Gleichzeitig lässt sich jedoch seit 1988 keine weitere Verringerung der Säuglingssterblichkeit, der Müttersterblichkeit oder eine Verbesserung der Vital-Werte der Neugeborenen verzeichnen. Der Mehrwert dieser zunehmenden Interventionen und Operationen bleibt also höchst fraglich.
In der Geburtshilfe wird kräftig gespart
Geburtshilfliche Abteilungen „lohnen“ sich für Kliniken kaum. Mit „normalen“ Geburten ohne zusätzliche Eingriffe machen sie oft sogar ein Verlustgeschäft.
Gezielte finanzielle Anreize für operative Eingriffe
Die Krankenkassen entlohnen die allermeisten Eingriffe jedoch gesondert. Es werden also gezielt finanzielle Anreize gesetzt, zu operieren, zu schneiden, zu nähen und zu betäuben.
Personaleinsparung
Zudem sparen die Kliniken Personal ein, versuchen durch das künstliche Beschleunigen von Geburten eine bestmögliche bzw. lohnende Auslastung der Räumlichkeiten und des Personals zu erreichen und nehmen viele ihrer Aufgaben nicht mehr wahr – schlicht weil das Personal (insbesondere Hebammen) fehlt.
Keine Zeit für Gespräche
Für sensible Gespräche, die Aufklärung über Eingriffe, das Einholen der Einwilligung der Gebärenden, einen respektvollen und achtsamen Umgang mit Schwangeren, Müttern und Kindern scheint keine Zeit mehr zu sein, und so bleiben diese Aufgaben viel zu oft auf der Strecke.
Ähnlicher Ablauf der Gewalt
Hiermit ist ein optimaler Nährboden für die Gewalt geschaffen. Und so laufen die meisten Fälle, in denen es zu einem gewaltsamen Umgang mit der Gebärenden kommt, auch ähnlich ab:
- der Klinik dauert die Geburt zu lange,
- die Geburt soll durch Eingriffe beschleunigt werden,
- die Wünsche der Gebärenden werden ignoriert,
- sie wird nicht aufgeklärt,
- sie wird nicht um Erlaubnis gefragt,
- die Eingriffe werden gegen den Willen der Frau durchgeführt.
Da sich die meisten Schwangeren nicht so einfach in das Krankenhausprotokoll pressen lassen, kommt es zudem oft zu psychischer Gewalt. Die Frauen werden durch Drohungen und Beleidigungen unter Druck gesetzt und gefügig gemacht.
Die Opfer leiden oft noch lange unter den Folgen
Die Auswirkungen dieser Gewaltform sind nicht unerheblich.
Gestörte Sozialbeziehungen
Sie betreffen die Mütter, ihre Kinder, die Väter und das geburtshilfliche Personal. Sie belasten die Mutter/Kind-Bindung, die Vater/Kind-Beziehung und die Paarbeziehung.
Psychische Folgen
Häufige psychische Folgen bei den Müttern sind Angstzustände, Schlafstörungen, posttraumatische Belastungsstörungen, Depressionen und Wochenbettdepressionen, Bindungsstörungen, der Abschluss der Familienplanung oder ein Wunschkaiserschnitt beim nächsten Kind.
Körperliche Folgen bei der Mutter
Körperlich leiden sie je nach Geburtsverlauf und Gewalttat unter Hämatomen, Wunden, Nahtproblemen oder übermäßigen Blutungen. Wird der Kristeller-Handgriff (Druck durch das Personal von außen auf den Bauch) durchgeführt, der in vielen Kliniken in England und Frankreich bereits verboten ist, können auch Uterus-, Leber- oder Milzrupturen oder Rippenfrakturen auftreten.
Folgen für das Neugeborene
Die Neugeborenen sind ebenfalls häufig psychisch beeinträchtigt und reagieren u.a. mit unstillbarem Schreien, Koliken, Stillproblemen oder auch Bindungsstörungen. Auch mit körperlichen Verletzungen macht sich die Gewalt unter der Geburt bei den Säuglingen bemerkbar. So können Wunden, das KISS-Syndrom, ein Schlüsselbeinbruch, Schädigungen des zentralen Nervensystems oder eine geburtstraumatische Armlähmung und ähnliches auftreten.
Gesundheitspolitik muss umdenken
Das Widersprüchliche an der Finanzpolitik im Gesundheitswesen ist, dass den Kliniken ausreichend Gelder vorenthalten werden – diese werden dann jedoch gezahlt, wenn es zu Interventionen kommt. Vorhanden scheinen die finanziellen Mittel also zu sein. Weshalb aber müssen Frauen dafür aufgeschnitten werden, damit diese Gelder auch in den Kliniken ankommen?
Aufstockung und Umverteilung der Gelder
Die Finanzierung der Geburtshilfe muss einerseits aufgestockt werden.
Andererseits muss die Vergütung aller geburtshilflichen Aktivitäten jedoch auch umverteilt werden. Es darf sich für eine Klinik nicht „rechnen“, die Damm- und Kaiserschnittrate absichtlich und medizinisch unbegründet hochzuschrauben. Es muss ein Abrechnungssystem installiert werden, das sich an den realen Kosten und Ausgaben, die bei den jeweiligen Maßnahmen den Kliniken entstehen, orientiert.
Mehr Hebammen und Qualitätschecks
Zudem benötigen wir für einen angemessenen, respekt- und würdevollen Umgang mit den Gebärenden eine Eins-zu-Eins-Betreuung durch Hebammen.
Auch das Einführen von Qualitätschecks und –siegeln könnte den Schwangeren mehr Überblick und Durchblick bei der Wahl der Klinik verschaffen und würde somit automatisch dazu führen, dass sich die Kliniken an Qualitätsstandards halten.
Forderungen für eine frauenfreundliche Geburtshilfe
Die Standards, die dabei zu erfüllen wären, wurden bereits vor 20 Jahren, beispielsweise in der Charta der Rechte der Wöchnerin, vom Europäischen Parlament beschrieben. Und ebenfalls vor 20 Jahren hat die Coalition for Improving Maternity Services Kriterien für eine mütterfreundliche Geburtshilfe benannt. Die Welt-Gesundheitsorganisation (WHO) hat eine Erklärung abgegeben zur „Vermeidung und Beseitigung von Geringschätzung und Misshandlung bei Geburten in geburtshilflichen Einrichtungen“ , die Sie hier herunterladen können.
Coalition for Improving Maternity Services fordert Standards für eine mütterfreundliche Geburtshilfe
- die freie Wahl des Geburtsortes, der Gebärposition, des Geburtsablaufs,
- die Möglichkeit ohne wehenbeschleunigende oder wehenverzögernde Maßnahmen zu gebären,
- eine individuelle und angemessene medizinische Behandlung,
- das ausführliche Informieren der Gebärenden,
- das Animieren der Gebärenden zu Bewegung und aufrechten Gebärhaltungen,
- das Verzichten auf Routinemaßnahmen (wie z.B. Schamrasur, Einlauf, Ess- und Trinkverbote etc.) und
- die Einschränkung von bestimmten Eingriffen (z.B. Geburtseinleitungen bei unter 10%, Dammschnittrate mit dem Ziel bei 5% zu liegen, Kaiserschnittrate von 10% oder darunter).
Die Aufstockung der finanziellen Mittel für die Geburtshilfe darf jedoch keinesfalls mit der Beschneidung der Rechte der Gebärenden oder der Hebammen einhergehen, so wie es derzeit versucht wird.
Darüber hinaus muss das geburtshilfliche Personal bereits in der Ausbildung, aber auch später in Weiterbildungen sensibilisiert und aufgeklärt werden über die körperliche und psychische Gewalt unter der Geburt und über die Rechte der Gebärenden.
Thema enttabuisieren
Wichtig ist jedoch auch, dass das Thema enttabuisiert wird. Das Abschaffen der Gewalt unter der Geburt wird nur möglich, wenn die Öffentlichkeit darüber informiert ist. Hier können Sie einen Flyer herunterladen, mit dem Sie Ihre Freundinnen auf den 25.11. hinweisen können.
Daher ist es auch ein bedeutender Schritt, wenn Betroffene wieder am 25.11. eine rosafarbene Rose vor der Tür niederlegen hinter der ihnen Gewalt angetan wurde – ein würdevoller Akt, der eine Gewaltform ins Bewusstsein holt, die uns mit Sprachlosigkeit erfüllt.
Über die Autorin
Christina Mundlos hat bis 2009 Soziologie und Germanistik mit dem Schwerpunkt Geschlechterforschung an der Universität Kassel studiert. Von 2009-2014 war sie Mitarbeiterin im Gleichstellungsbüro der Leibniz Universität Hannover – zuletzt als Leiterin des Familienservicebüros. Zudem ist sie seit 2009 als freie Autorin tätig. Zuletzt erschienen von ihr „Mütterterror – Angst, Neid und Aggressionen unter Müttern“ (2013), „Gewalt unter der Geburt – Der alltägliche Skandal“ (2015) und „Wenn Mutter sein nicht glücklich macht – Das Phänomen Regretting Motherhood“ (2015).
Christina Mundlos ist 33, lebt in Hannover und hat zwei Kinder (4 und 8 Jahre)
Kontakt
E-mail: christina.mundlos@gmx.de
Stellungnahme der Redaktion
Als ich zunächst von dem Buch „Gewalt unter der Geburt“ hörte, dachte ich (wie sicher auch Sie, wenn Sie zunächst die Überschrift des Artikel lesen): „Was soll das denn jetzt wieder für eine Panikmache sein!“. Ich hatte Ihnen schon einige inspirierende Artikel vermittelt, wie frau das Glückserlebnis der Geburt steigern kann: bspw. durch Yoga und Flowbirthing und Hypnobirthing.
In weiteren Artikeln hatte ich Sie darauf hingewiesen, wie Sie eine gesunde Umwelt für Ihr Baby gestalten können:
- durch die Auswahl gesunder Kleidung bereits in der Schwangerschaft,
- durch die Kenntnis von Hormongiften in unserer Umgebung
- durch die Vermeidung von Umweltgiften im Kinderzimmer.
und wie Sie durch Ihren Lebensstil in der Schwangerschaft dafür Sorge tragen können, dass Ihr Baby im Mutterleib mit allen wichtigen Schutzstoffen versorgt wird und gut ausgereift und fit ins eigene Leben starten kann:
- durch die richtige Ernährung
- auch bereits in der Kinderwunschzeit
- und Berücksichtigung all der Faktoren, die bereits vor der Geburt Ihr Baby lebenslang prägen.
Monatelang haben wir uns in diesem Magazin dafür stark gemacht, dass die Kaiserschnittrate reduziert werden muss. Wir haben an Petitionen teilgenommen, die die Ausbildung und den Verdienst von Hebammen verbessern sollen. Und jetzt soll plötzlich Gewalt unter der Geburt alltäglich und ein Tabuthema sein? Ich muss zugeben, als ehemalige Geburtshelferin, die ihre schönsten Momente im Kreißsaal erlebt hatte, war ich schockiert und konnte es nicht glauben.
Aber dann las ich das Buch „Gewalt unter der Geburt“ und wurde eines Besseren belehrt. Die Erlebnisse der Frauen, die darin berichten, egal ob als Betroffene oder Hebamme, gehen unter die Haut. Mir wurde plötzlich deutlich, dass in unserem Medizinsystem auch in der Geburtshilfe Vieles falsch läuft.
Aus eigenem Erleben weiß ich ja, wie man als Geburtshelfer oft unter Druck steht, wenn nicht genügend Personal da ist, um jede Frau rund um die Uhr zu betreuen, dass man schon mal kurz angebunden reagiert, wenn dieselbe Frage zum x-ten Mal beantwortet werden muss, dass meistens gleichzeitig in mehreren Kreißsälen plötzlich die Herztöne schlecht werden usw. Und trotzdem müssen wir uns darüber im Klaren sein, in was für einem verletzlichen und außergewöhnlichen Zustand sich eine Gebärende befindet.
In diesem Buch wird deutlich gemacht, was für weitreichende Folgen die Technisierung unserer Klinikgeburtshilfe und unserer Sparmaßnahmen für Frauen, ihre Babys und ihre ganzen Familien hat. Chancen für eine Veränderung sehe ich nur, wenn endlich die Geburt als ein natürlicher Vorgang angesehen wird. Eine Geburt, die durchaus auch zu Hause und in Anwesenheit einer erfahrenen Hebamme geschehen kann. Holland geht uns da mit einem sehr guten Beispiel voraus. Da es immer weniger Ausbildungsstellen für Hebammen gibt, könnten erfahrene Doulas regelmäßig unter ärztlicher Begleitung eingesetzt werden.
Dieses Buch ist allen zu empfehlen: Frauen, Hebammen, Ärzten und nicht zuletzt sozialen und politischen Entscheidungsträgern, damit dieser alltägliche Skandal von psychischer und manchmal auch körperlicher Gewalt enden kann.
Haben Sie auch Gewalt unter der Geburt erfahren? Dann schreiben Sie doch einen Kommentar. Oder besser noch: haben sie eine beglückende und gut umsorgte Geburt erfahren, dann berichten Sie doch auch mal davon!
Ich hatte eine glückliche Hausgeburt – eine Hebamme für mich alleine. Als sich die Geburt ankündigte rief mein Mann die Hebamme an und sie war eine halbe Stunde später da. Es ist angemessener, dass eine Hebamme zu der Schwangeren kommt, als dass eine Hochschwangere quer durch die Stadt fährt.
Wir waren zu dritt: mein Mann, die Hebamme und ich. Das reichte vollkommen. Die Hebamme kümmerte sich um mich – die ganze Zeit. Mein Mann unterstützte die Hebamme (rangierte ihre Gerätschaften, eine Sauerstoffflasche, die kam aber zum Glück nicht zum Einsatz, breitete eine Decke aus, holte einen Gebärhocker, das war gut, da habe ich dann geboren) und hielt zwischendurch meine Hand.
Wenn ich all die Berichte von Krankenhaus-Geburten lese, dann ist das immer andersrum: der Mann muss die Gebärende betreuen, weil das Krankenhaus das nicht leistet. Dort muss sich frau ihre Hebamme nämlich mit anderen teilen, wenn sie Pech hat, ist auch noch mittendrin Schichtwechsel. In vielen Fällen muss der Mann sogar dafür sorgen, dass die Persönlichkeistrechte der Gebärenden gewahrt werden! Ich glaube die meisten Männer schliessen lieber ein Wehengerät an, als dass sie Diskussionen mit gestresstem Krankenhauspersonal führen.
Wozu frau bei einer normalen Schwangerschaft in eine Klinik soll, weiss ich nicht. Meist ist das nächste Krankenhaus in 30 Min Fahrt erreichbar – schneller ist sowieso kein OP parat.
Abgesehen davon sind Krankenhäuser Orte, an denen mensch die Eigenverantwortung an der Tür abgibt. Das ist kein guter Ausgangspunkt für eine Geburt. Das führte mir die Geburtsgeschichte einer Freundin deutlich vor Augen: sie war hell begeistert von dem Krankenhaus, sie hätte nach der Geburt sogar ein frisches T-Shirt bekommen, weil sie keine Zeit mehr hatte etwas mitzunehmen. Da war für mich klar, dass ich in meiner Wohnung gebäre. Dort ist mein Kleiderschrank und ich muss nicht für ein läppisches T-Shirt dankbar sein.
Ich habe auch gehört, dass den Frauen in Krankenhäusern dauerhaft ein Wehengürtel umgelegt wird, damit die Geburt technisch überwacht werden kann. Das ist nötig, weil die Krankenhaus-Hebamme meist durch Abwesenheit glänzt (wegen Überlastung, nicht weil sie sich nicht kümmern wollen!). Meine Hebamme hat mir auch kurz einen solchen Gürtel angelegt, der tat aber wegen der Wehen sehr weh. Deshalb hat sie ihn abgenommen und mit einem kleinen Höhrrohr die Herztöne des Kindes abgehört. Das war angenehm. Ich möchte mir nicht vorstellen was es für eine Folter gewesen wäre, wenn ich mangels Hebamme diesen Wehengürtel während der ganzen Geburt hätte tragen müssen. Dann hätte ich vermutlich Schmerzmittel gebraucht und die medizinische Abwärtsspirale wäre in Gang gekommen.
Später ist dann ein Arzt zum Hausbesuch vorbeigekommen, weil ich trotz aller Vorsicht zwei Stiche für den Damm brauchte und am nächsten Morgen kam ein Kinderarzt und schaute nach dem Baby. Die Hebamme kam zur Nachsorge jeden Tag vorbei, in den ersten Tagen morgens und abends. Sie kam zwei Wochen lang. Mein Mann war zwei Wochen lang zu Hause und kümmerte sich um das Baby, ich ruhte mich aus. Besucher wurden nur eingelassen, wenn sie ein gutes, warmes Essen mitbrachten. Wir haben auch nur zwei, drei Besucher pro Tag zugelassen, und dadurch wurde das Essen auf die ganzen zwei Wochen verteilt. Das hatte die Hebamme so bestimmt. So musste mein Mann nicht kochen oder Einkaufen und hatte wirklich Zeit für uns. Am Ende der zwei Wochen hatte er alle Kunstgriffe der Babypflege von der Hebamme erlernt. Ich konnte nichts ausser Stillen, weil die Hebamme mir verboten hatte etwas zu machen. Aber ich habe schnell aufgeholt. Am Ende der zwei Wochen kam meine Familie eine Woche lang zu Besuch und hat mich bekocht. Danach konnte ich alles alleine managen.
Vielleicht sollte ich noch eines zur Hausgeburt sagen: wir kannten meine Hebamme durch die Geburtsvorbereitung schon seit Monaten, wir mochten sie beide gerne und hatten in den Gesprächen den Eindruck gewonnen, dass diese Frau mit jeder Situation fertig wird. Am Anfang haben wir noch geglaubt wir würden uns die Hebamme aussuchen. Tatsächlich war es aber so, dass die Hebamme irgendwann gesagt hat: „Ja, mit Ihnen kann ich mir eine Hausgeburt vorstellen.“ Hebammen haben so viel Verantwortung, dass sie sie ihre werdenden Mütter und Väter gut aussuchen müssen. Im Übrigen hat meine Geburt mit Vor- & Nachsorge und den Hausbesuchen weniger gekostet, als eine Krankenhausgeburt. Aber selbst wenn die Krankenkassen inzwischen keine Hausgeburten mehr zahlen: ich würde den Betrag eher selber hinlegen, bevor ich ohne medizinischen Grund in eine Klinik gehe.
Liebe Maria,
danke für den aufschlussreichen und ermutigenden Bericht. Ich hoffe nur, dass uns fürsorgliche und gut ausgebildete Hebammen dauerhaft erhalten bleiben, denn normale Geburt und normales Sterben gehören nach Hause. Selbstverständlich muss die Hebamme entscheiden, ob mit einer normalen Geburt zu rechnen ist und sich nicht scheuen, bei dem geringsten Risiko einen Arzt oder die Klinik hinzuzuziehen. Alles Gute für Ihre Familie!