Viele Frauen erleben die Schwangerschaft als eine von Glücksmomenten geprägte Lebensphase, in die sich durchaus auch gemischte Gefühle einschleichen: Wie verändert sich mein Körper? Werde ich eine gute Mutter sein? Wird alles gut gehen? „Geburt, das war für mich eine große Unbekannte“, erzählt die 31-jährige Gymnasiallehrerin Anna Lietsch aus Konstanz, die im Mai 2011 ihr erstes Kind zur Welt gebracht hat.
In der Schwangerschaft sah sich Anna vor unzähligen Fragen: „Wie soll ich bloß liegen mit dem riesigen Bauch? Dazu kam innere Unruhe und nächtliches Sodbrennen. Beides war wirklich schlafraubend. Ich wusste damals auch nicht, was genau der Beckenboden eigentlich ist.“ Dabei werden gerade seine Eigenschaften besonders gefordert. Das Geflecht aus Muskeln, Bändern und Bindegewebe – einer Hängematte gleich – muss Stabilität bieten, um die Gebärmutter samt dem heranwachsenden Kind zu tragen. Gleichzeitig muss es elastisch sein, um das Becken für die Geburt zu öffnen.
Mit Yoga Energie für die Geburt
Zuversichtlich in den Geburtsprozess gehen, im richtigen Moment die Muskulatur aktivieren und wieder loslassen können – Anna hat das bei ihren Yoga-Übungen für Schwangere gelernt: „Ich wusste, wie ich mich unter den stärker werdenden Wehen bewegen und Wehenpausen nutzen kann. Mit den Yogaübungen war es, als hätte ich eine kleine Anleitung in der Schwangerschaft für meine Beschwerden und für die Geburt selbst. Ich fühlte mich nicht mehr hilflos ausgeliefert. Das hat mir viel Angst genommen.“
Nicht jede Schwangere kommt automatisch auf die Idee, Yoga zu machen. Auch wenn fünf Millionen Menschen in Deutschland Yoga praktizieren – der Begriff löst teilweise noch Verwirrung aus: „Manche Frauen denken an religiöse Praktiken, andere an Hochleistungssport“, erzählt die Hebamme und Schwangeren-Yogalehrerin Heike Riefler aus Gomaringen.
Doch weder auspowern noch Bewegung in Perfektion sind das Ziel beim Yoga. Im Gegenteil: Vor Übereifer wird gewarnt. Auch beim Yoga sind Verletzungen etwa durch Überdehnung nicht ausgeschlossen. Deshalb wird empfohlen, nicht auf eigene Faust mit Yoga zu beginnen, sondern unter Anleitung von erfahrenen und gut ausgebildeten Yoga-Kursleitern.
Mit Yoga Stress abbauen
„Von den Teilnehmern meiner Kurse höre ich immer wieder, dass sie gern jeden Tag etwas für sich tun möchten, um den Belastungen des Alltags entgegenzuwirken, der Nervosität, den Rückenschmerzen und dem Stress“, hat die Berliner Yoga-Lehrerin und Buchautorin Anna Trökes beobachtet. Entspannung, Stress abbauen, zur Ruhe kommen, Burnout vorbeugen, Regeneration, Vitalität, ein positiveres Lebensgefühl – das sind tiefer gehende Ziele beim Yoga.
Bereits einfache Yoga-Übungen haben große Heilwirkungen auf den Organismus. Dabei geht es insbesondere um innere Achtsamkeit und den Wechsel von Anspannung und Entspannung, nicht um Körperkraft und Akrobatik. Das gilt für alle, für Yoga-Anfänger und Fortgeschrittene, für Männer ebenso wie für Frauen. Bei den Yoga-Übungen für Schwangere werden spezielle Aspekte berücksichtigt. „Wir lockern bei den Schwangeren gezielt den Beckenbereich“, erklärt die Schwangeren-Yogalehrerin Heike Riefler. „Positionen wie die tiefe Hocke weiten den Beckenausgangsraum und sind auch als Gebärposition effektiv. Frauen, die aufrecht gebären, weisen oft weniger Dammverletzungen auf.“
Heike Riefler weiß aus Erfahrung, dass eine Geburt, die sich oft über viele Stunden hinziehen kann gerade für Erstgebärende Schwerstarbeit ist: „Oft sind nicht die gefürchteten Schmerzen problematisch, sondern den Frauen fehlt Kondition. Mit den Körperübungen im Yoga – den Asanas – werden sie beweglicher, kräftiger und ausdauernder. Schwangere, die regelmäßig üben, haben nach meiner Erfahrung vergleichsweise kürzere Geburtszeiten und positivere Geburtserlebnisse.“
Mit Yoga zu Ruhe und innerer Einkehr
Während der Schwangerschaft in ihrer Komplexität erfährt der mütterliche Körper viele Veränderungen. Rund die Hälfte aller Schwangeren findet sich bei wachsender körperlicher Fülle unter Belastung regelmäßig in Atemnot wieder. „Ruhe und innere Einkehr können helfen, vegetative Funktionen wie den Blutdruck oder Puls auszugleichen“, sagt Professor Christian J. Thaler, Chef vom Hormon- und Kinderwunschzentrum am Universitätsfrauenklinikum München-Großhadern. „Funktionen wie der Schlaf oder die Verdauung können ebenfalls günstig beeinflusst werden.“
Yoga schlägt eine Brücke zwischen Naturheilkunde und klassischer Schulmedizin. Viele Gynäkologen wie Christian Thaler sind überzeugt, dass sich mit ganzheitlichen Übungsmethoden in der Schwangerschaft die Seele beruhigen und Körperenergien wecken lassen. Der Mediziner sagt aber auch: „Beim Yoga mit Schwangeren sollte individuell sichergestellt sein, dass bei den besonderen Lagerungen, Bewegungen oder Yoga-Haltungen keine negativen Auswirkungen auf die Schwangerschaft entstehen.“
Atemübungen
Yoga in der Schwangerschaft ist deswegen frei von Extremen: „Es gibt Schwangere, die können bis kurz vor der Geburt fast alle Übungen machen, andere benötigen ein ruhigeres Vorgehen“, beobachtet Susanne von Somm, freiberufliche Gesundheitstrainerin und Yogalehrerin in Konstanz, in ihren Kursen. Sie bildet als Dozentin – unter anderem der renommierten Yoga-Organisation Yoga Vidya e.V. – Hebammen, Therapeuten und Yogalehrende in Schwangeren- und Rückbildungsyoga aus. „Grundsätzlich gilt: Yoga in der Schwangerschaft ist individuelles Yoga“, sagt sie. Hierfür bilden die vom Hatha-Yoga abgeleiteten sanften Stilrichtungen wie Sivananda- und Vini-Yoga oft die Basis. „Ein wichtiges Element ist, dass Schwangere lernen, wie der Atem durch die Wehen trägt, wie viel Kraft und Gelassenheit das lange Ausatmen schenkt. Und das in jeder Übungsstunde, damit sich diese Fähigkeit für den Geburtsprozess automatisiert. Übliche Schwangerschaftsgymnastik übt das vergleichsweise weniger intensiv.“
Hebammen bieten Yoga an
Tatsächlich reagiert das Nervensystem positiv auf das Üben des langen Ausatmens . Geist und Körper können entspannen, Schmerz sich verringern. Aus Sicht von Christiane Jaschiniok, Gymnastik- und Yogalehrerin sowie Tanz- und Bewegungstherapeutin in Berlin, baut Yoga auf diese Weise Stress ab. „Es verfeinert die Körperwahrnehmung. Schwangere kommen zu einer bewussten Achtsamkeit für sich selbst. Das ist wichtig, um unter der Geburt entspannt bleiben zu können.“
Bundesweit bieten schätzungsweise 10 Prozent aller Hebammen, die Schwangerschaftsvorsorge bzw. Geburtsvorbereitungskurse durchführen, auch Schwangeren-Yoga an. Und es werden immer mehr: Gute Informationsquellen über Kurse bieten die Landesverbände des Deutschen Hebammenverbandes, die für jeden Landkreis eine Hebammenliste führen, und der Bund freiberuflicher Hebammen Deutschlands. Die SECURVITA Krankenkasse hat als erste Krankenkasse mit den Hebammenverbänden eine Vereinbarung über verschiedene Zusatzleistungen abgeschlossen, darunter neben Gruppenkursen wie Tai Chi oder Qi Gong auch für Yoga in der Schwangerschaft.
Für SECURVITA-Versicherte rechnen die Hebammen unmittelbar mit der Krankenkasse ab. Darüber hinaus zahlt die SECURVITA Krankenkasse auch ein erweitertes Geburtshilfehonorar: Betreuende Hebammen erhalten 50 Euro je Geburt. Und Müttern wird die Rufbereitschaftspauschale von 250 Euro erstattet.
Mit Yoga zur eigenen Mitte
Yoga wirkt nicht nur auf körperlicher, sondern auch auf seelischer und geistiger Ebene, meint die 30-jährige Christina Huber, die in Kürze ihr erstes Kind erwartet. »Wir verbinden uns mit dem Ungeborenen. Man kommt wieder in seine eigene Mitte. Schwangerschaft und Geburt sind etwas ganz Natürliches und nicht etwa eine Krankheit. Diese Einstellung wurde für mich durch Yoga noch einmal gestärkt.«
Nach der Geburt stehen wiederum Veränderungen an. Muskeln, Bänder und Bindegewebe regenerieren sich nach den Beanspruchungen in der Schwangerschaft. Außerdem braucht das Leben mit dem Neugeborenen eine neue Ordnung, die auch der jungen Mutter Selbstvertrauen verleiht. Rückbildungs-Yoga hilft dabei.
In der Zeit der Schwangerschaft, bei der Geburt und auch in den Wochen danach braucht die Schwangere sowohl kraftvolle Stabilität wie auch entspannte Leichtigkeit. Regelmäßige Bewegungs- und Entspannungsübungen des Yoga können sie dabei unterstützen. Für die Yogalehrerin Susanne von Somm, selbst Mutter einer 7-jährigen Tochter, hat Yoga insgesamt viel bewegt: »Für mich war es eine lebensverändernde Erfahrung, alleine durch das Erleben von Wertschätzung in einem geschützten Raum, in dem jeder so sein darf, wie er ist. Für mich war das der große Moment des Ankommens bei mir selbst.«
Über die Autorin
Pepe Peschel ist Gesundheitspädagogin, Medizinjournalistin und Fernsehmoderatorin. Nach Tätigkeit unter anderem als Personal Coach in der Gesundheitsvorsorge, arbeitete sie von 2004 bis 2007 als Frontfrau beim Nachrichtenmagazin von RTL in München. Seit 2007 ist sie für Publikums- und Fachmedien im Ressort Medizin und Wissenschaft vor und hinter der Kamera aktiv. Seit 2009 leitet sie außerdem die Redaktion eines gynäkologischen Fachjournals und gehört zum Expertenteam Service Gesundheit beim Magazin Wir in Bayern im Bayerischen Fernsehen. In ihrer Arbeit widmet sich Pepe dem, was das Leben berührt, und hilft da, wo der Einzelne oft alleine nicht weiter kommt: in der permanenten Informationsflut die Spreu vom Weizen zu trennen, für mehr Individualität – in der Medizin und im Leben.
Pepe Peschel
Journalistin, Autorin, Moderatorin
https://www.linkedin.com/in/pepe-peschel-0b8230234/
Weitere Infos
■ Deutscher Hebammenverband,
Gartenstraße 26, 76133 Karlsruhe, Tel. 0721/981890,
■ Bund freiberuflicher Hebammen Deutschlands,
Kasseler Str. 1a, 60486 Frankfurt, Tel. 069/ 79 53 49 71
■ Internetsuche nach Hebammen und Yogakursen für Schwangere:
www.hebammensuche.de, www.babyclub.de
■ BDY (Berufsverband der Yogalehrenden in Deutschland),
Jüdenstr. 37, 37073 Göttingen, Tel. 0551 /4883808,
■ BYV (Bund der Yoga Vidya Lehrer)
Wällenweg 42, 32805 Bad Meinberg, Tel. 05234/870
■ 3HO (Verein zur Förderungdes Menschen durch Yoga)
Breitenfelder Straße 8, 20251 Hamburg, Tel. 040/479099
Die Erstveröffentlichung in Securvital April 2012 können Sie hier als pdf herunterladen
Empfehlenswerte Bücher und CDs zu Yoga in der Schwangerschaft
Ganz aktuell bringt jetzt im Februar 2013 der Mankau-Verlag ein Yoga-Kartenset heraus, das die bekannte Yogalehrerin Sandra Beck zusammengestellt hat. Sandra Beck ist selber Mutter von zwei Kindern und hat am eigenen Leib erlebt, wie Yoga ihr in den Schwangerschaften und danach geholfen hat.
„Yoga in der Schwangerschaft“ besteht aus 50 Übungskarten und einem Begleitbuch. Da keine Schwangerschaft der anderen gleicht, kann frau sich täglich die Übungen so zusammenstellen, wie es ihren Bedürfnissen und dem Tageszustand entspricht. Auf jeder Karte wird genau erklärt, wie die Übung durchzuführen ist und wie man dabei atmen sollte, um die beste Wirkung zu erzielen.
Danke für den interessanten Artikel.
Ich biete bald auch Schwangeren Yoga an und war auf der Suche nach Anregungen!
Sehr geehrte Frau Professor Gerhard,
nach einer Fehlgeburt bin ich jetzt in der 5. Woche schwanger. Ich hatte geplant, bald ein paar Tage an der Nordsee zu verbringen. Jetzt erinnerte ich mich daran, dass einer Freundin in ihrer Schwangerschaft wegen des Reizklimas an der Nordsee von einer Reise dorthin abgeraten wurde.
Sollte ich die Reise lieber absagen? Führt das Reizklima tatsächlich zu einem höheren Fehlgeburtsrisiko?
Vielen Dank!
Liebe Lia,
Da Sie schon eine Fehlgeburt hatten, wäre ich in den ersten 3 Schwangerschaftsmonaten mit dem Reisen sehr vorsichtig. Vermeiden Sie Fliegen, längere Autofahrten und starke Klimadifferenzen. Wenn Sie in der Nähe der Nordsee wohnen und häufiger dort sind, wenn US und Hormonwerte im Blut normal sind, können Sie die Reise wahrscheinlich riskieren. Da Ihr Frauenarzt Sie und Ihre möglichen Schwangerschaftsprobleme besser einschätzen kann, würde ich mit ihm darüber sprechen. Alles Gute!