Altern ist deutlich besser als sein Ruf. Das zeigen nicht zuletzt die rezenten Befunde der psychologischen Alternsforschung.
Altern ist längst zu einem Megathema unserer Gesellschaft geworden, wenn auch nicht des Bundestagswahlkampfs 2017 (wieso eigentlich nicht?). Allerdings herrschen noch immer viele negative und nicht mehr gültige Vorstellungen vom Altwerden und Altsein vor. Kürzlich habe ich in meinem Buch „Die neue Psychologie des Alterns“ den Versuch unternommen, die immer noch existierenden unguten Bilder des Älterwerdens zu korrigieren. Und die vielleicht komplexeste Phase unseres Lebens aus unterschiedlichen Blickwinkeln, primär der psychologischen Alternsforschung, zu beleuchten.
Im Buch frage ich zunächst meine Leserinnen und Leser:
Wie gehen Sie eigentlich mit Ihrem Älterwerden um? Stecken Sie den Kopf in den Sand? Oder lesen Sie alles, was es zu diesem Thema gibt? Oder finden Sie sich einfach damit ab?
Und ich sage: „Die Auseinandersetzung mit unserem Älterwerden ist gewissermaßen ein Dauerthema unseres Lebens, zumindest ab dem mittleren Erwachsenenalter, aber beileibe nicht das schlechteste, und langweilig oder gar unangenehm ist es schon gar nicht. Weg also mit den Negativbildern des Älterwerdens, aber auch die Kirche im Dorf lassen und das Altern differenziert betrachten! Ein Lob auf die Vielschichtigkeit des heutigen Alterns! Nein, des Lebens, denn Altern ist ein gewichtiges Element desselben“ (S. 9).
Überraschende Befunde der Alternspsychologie
Im Buch argumentiere ich weiter, dass der Psychologie (sicher auch in Kooperation etwa mit der Altersmedizin, Altersbiologie und Alterssoziologie) eine sehr bedeutsame Rolle für ein neues Verständnis des heutigen Alterns zukommt, etwa in den Bereichen der geistigen Leistungsfähigkeit, der Gestaltung sozialer Kontakte, in der Auseinandersetzung mit negativen Alternsbildern und auch als Hintergrund für systematische Veränderungen des Älterwerdens (sog. Gero-Interventionen).
Es sind insbesondere sechs überraschende Befunde der neuen Psychologie des Alterns, die im Buch ausführlich dargestellt werden:
- Ältere Menschen fühlen sich überwiegend deutlich jünger als sie tatsächlich sind. Und dieses Sich-Jünger-Fühlen sowie positive Bewertungen des eigenen Älterwerdens machen auch tatsächlich jünger und zufriedener, ja, sie gehen sogar mit einer längeren Lebenszeit einher.
Levy et al. verglichen in ihrer Studie die mittlere Lebenserwartung von älteren Menschen. Die eine Gruppe bewertete das eigene Älterwerden positiv (hoher PSPA),die andere eher negativ (niedriger PSPA). Die Menschen mit positiver Bewertung lebten im Mittel 7 Jahre länger als diejenigen mit der negativen Bewertung. Dieser Befund zeigt eindrücklich die Bedeutung negativer Bewertungen des eigenen Älterwerdens. Er ist zwischenzeitlich mehrfach in unterschiedlichen Längsschnittstudien repliziert worden und somit relativ robust.
- In der alltäglichen Welt älterer Menschen funktioniert sehr Vieles weiterhin gut. Kognitiv ist die Altersphase mehrheitlich ziemlich stabil und keine reine Verlustgeschichte.
- Ältere Menschen sind nicht depressiver als jüngere; sie verstehen es ganz überwiegend, ihr Wohlbefinden auf hohem Niveau zu halten, gleich was geschieht.
- Ältere Menschen sind sehr gut im Erhalt ihrer bedeutsamen Sozialkontakte. Sie wissen sehr genau, was sie sozial brauchen – und holen es sich.
- In der Nähe des Todes ändert sich allerdings dieses Bild: Nun übernimmt die verbleibende Zeit das Ruder und das chronologische Alter tritt zurück. Funktionale Kompetenzen, kognitive Leistungen und Wohlbefinden – all dies geht vor allem in der Nähe des Todes zurück, nicht so sehr durch fortschreitendes Alter (Zeit seit Geburt).
- Alternsverläufe sind stärker beeinflussbar als bislang angenommen (Plastizität). Allerdings wird diese Plastizität längst noch nicht in genügender Weise in unserer Gesellschaft und in unseren Versorgungssystemen genutzt.
Junges und altes Altern
Dabei wird insgesamt deutlich:
- Die Chancen des jungen Alters, also etwa zwischen dem 60. und dem 80. Lebensjahr, müssen heute im Sinne einer qualitativ völlig neuen Lebensphase mit vielen Entwicklungspotenzialen gedeutet werden.
- Doch auch das „alte Alter“ jenseits etwa des 80. Lebensjahrs ist lang geworden – und dauert heute nochmals etwa fünf bis zehn Jahre. Gerade die psychischen Herausforderungen des sehr hohen Alters verlangen völlig neue Bewältigungskompetenzen.
Darauf sind wir, so sage ich, derzeit allerdings noch schlecht vorbereitet. Das Durchlaufen einer langen Phase des ‚eigentlich nicht alt Seins‘, dann aber auch einer keineswegs kurzen Phase von Verletzlichkeiten, Mehrfacherkrankungen und Abhängigkeit von anderen stellt für uns alle spät im Leben noch einmal eine psychisch anspruchsvolle Aufgabe dar, die wir bislang individuell und gesellschaftlich noch nicht wirklich auf dem Schirm haben.
Das muss sich aus meiner Sicht dringend ändern, denn eine möglichst gute Informiertheit über und Vorbereitung auf den letzten Abschnitt unseres Lebens geht uns nicht nur alle an, sondern ist essentiell für ein autonomes und reflektiertes Leben bis zum Ende.
16 Lebensregeln für ältere Menschen
Die folgenden 16 Lebensregeln für gutes Altern sind von meinem Buch abgeleitet, gehen aber auch noch einen Schritt weiter. Sie richten sich an alle älteren Menschen, auch wenn natürlich jeder einzelne ältere Mensch seine besonderen Bedürfnisse, Lebensumstände und seine einzigartige Biographie besitzt.
- Geben Sie einem negativen Altersbild (z.B. „Alter ist ja nur eine Katastrophe“) keine Chance. Auch der „Lebensabend“ hat positive Entfaltungsmöglichkeiten und schöne Seiten. Und er ist ja auch sehr lang geworden.
- Wenn Sie sich manchmal oder öfters einsam fühlen: Teilen Sie Ihre Gefühle mit anderen. Haben Sie den Mut dazu. Suchen Sie Anschluss, auch wenn es Ihnen schwerfällt. Probieren Sie unbedingt neue soziale Erfahrungsmöglichkeiten (z.B. Seniorentreffs, Kirchengemeinden) aus. Entscheiden Sie erst dann, ob es Ihnen guttut.
- Nutzen Sie alle Möglichkeiten, sich geistig rege zu halten. Vieles ist hier gut und hilfreich: Sudoku, Kreuzworträtsel lösen, Kurse der Volkshochschule, Interesse an Sprachen, Geschichte oder Sport, im Chor singen, ein Hobby ausüben, sich freiwillig für andere engagieren usw. Es gibt nichts Gutes, außer man tut es – auch im Alter!
- Bleiben Sie körperlich aktiv oder werden Sie körperlich aktiv. Es geht nicht um Leistungssport, sondern um ein Ihnen angemessenes Üben: z.B. Spazierengehen, Tanzen, auch Sitztanz, etwas länger auf einem Bein stehen, dann auf dem anderen, etwas Gymnastik, mehrmals vom Stuhl aufstehen und wieder setzen. Die Mischung macht’s. Möglichst 2 ½ Stunden in der Woche wären super.
- Setzen Sie sich nie unter Druck nach dem Motto „Nur aktives Alter ist gutes Alter“. Es ist natürlich erlaubt, auch einmal nichts zu tun, einfach die Zeit zu genießen.
- Wenn Sie schwere körperliche Erkrankungen und Gebrechen haben: Suchen Sie auch den fachlichen Rat von Ärzten und Ärztinnen mit der Spezialisierung Altersmedizin. Das sind Ärztinnen und Ärzte, die am meisten von der medizinischen Seite des Älterwerdens verstehen. Nutzen Sie alle Rehabilitationsmöglichkeiten.
- Pflegebedürftigkeit ist sicherlich keine schöne Lebenserfahrung. Wenn sie eintritt: Achten Sie auf beste pflegerische Leistungen und Versorgung. Achten Sie auf geprüfte Qualität, möglichst mit einem Gütesiegel. Wechseln Sie auf jeden Fall den Pflegeanbieter, wenn Sie Beanstandungen haben.
- Wenn Sie merken, dass Ihr Gedächtnis deutlich schlechter wird, und Sie sich mit dem Wegefinden schwertun: Suchen Sie fachlichen Rat – lieber früher als später. Diesen finden Sie vor allem in den sogenannten Gedächtnissprechstunden an größeren Kliniken. Dort sind die Profis dafür.
- Wenn Sie öfters traurig und depressiv sind: Suchen Sie auch hier aktiv den Rat von Spezialisten wie Fachärzten für Psychiatrie und Neurologie und psychologischen Beratungsstellen. Psychotherapie funktioniert auch bei Älteren und wird übrigens auch bei Älteren von den Kassen übernommen.
- Seien Sie offen für neue Technologien und Medien. Mit dem Internet sollten Sie umgehen können. Es wird immer wichtiger, wenn es um Fragen rund um Gesundheit, Einkaufen, Reisen, Bildung, Wohnen und Pflege geht. Machen Sie dazu Kurse (diese werden fast überall angeboten). Sie werden stolz auf sich sein!
- Nehmen Sie Ihre Mobilität sehr ernst. Achten Sie auf Ihr Gehen und Ihre Haltung. Kümmern Sie sich unbedingt um Trainingsmöglichkeiten, wenn Sie merken, dass Sie beim Gehen unsicherer werden. Steigen Sie rechtzeitig auf öffentliche Verkehrsmittel um, wenn das Autofahren schwieriger wird.
- Es gibt keine Tabus im Alter. Sexualität ist auch im Alter gut, wenn Sie diese immer schon schätzten. Auch Trennung vom bisherigen Partner kann ein Weg sein, wenn sie sehr unzufrieden sind und ihre Bedürfnisse nicht mehr erfüllt sehen. Gespräche über Tod und Sterben können hilfreich sein. Haben Sie den Mut, eine Patientenverfügung für sich zu erstellen, also dafür zu sorgen, dass in Extremsituationen möglichst das in Ihrem Leben geschieht, was Ihnen wichtig ist.
- Wenn Ihnen das Thema Vererbung Sorgen macht: Lassen Sie sich sehr gut und umfassend beraten. Legen Sie Ihren letzten Willen fest. Schieben Sie es nicht auf die lange Bank.
- Setzen Sie sich möglichst gemeinsam, vor allem mit Ihrem Partner und Ihren Kindern, mit einer möglichen Pflegebedürftigkeit, Demenz oder einer Übersiedlung ins Pflegeheim auseinander. Sie werden sehen: Solche Vorwegnahme tut gut und hilft, dass man in der Situation selbst ein Stück die Kontrolle behält.
- Lassen Sie Altersdiskriminierung, wenn Sie Ihnen entgegenkommen sollte (z.B. „Sie sind zu alt für diese Therapie“, „Sie sind zu alt für einen Kredit bei uns“, „Sie sind zu alt, das noch zu lernen“) keinesfalls zu. Wehren Sie sich, beschweren Sie sich. Beschreiten Sie notfalls den Rechtsweg.
- Wenn Sie selbst Ihren Partner oder eine andere Person pflegen (immer mehr Ältere pflegen andere Ältere): Machen Sie nicht alles mit sich aus, teilen Sie Ihre Erfahrungen und eventuelle Belastungen anderen mit. Viele Pflegedienste und Krankenkassen bieten solche Beratungen an. Auch die vielfach angebotenen Gesprächsgruppen für Angehörige können eine hilfreiche Möglichkeit für Sie sein.
Diese Regeln sind ein Vorschlag und basieren auf meiner Sicht der praktischen Bedeutung der wissenschaftlichen Literatur zu Älterwerden heute, wie ich sie in der „Neuen Psychologie des Alterns“ dargelegt habe. Andere mögen es anders sehen. Ich stelle sie hier zur Diskussion.
Über den Autor
Prof. Dr. Hans-Werner Wahl ist Seniorprofessor und Direktor des Netzwerks Alternsforschung der Universität Heidelberg. Zuvor leitete er von 2006 bis 2017 die Abteilung für Psychologische Alternsforschung am Psychologischen Institut der Universität Heidelberg. Er ist Autor/ Mitautor/ Herausgeber von mehr als 360 Publikationen, davon mehr als 150 Originalarbeiten.
Kontakt
Prof. Dr. Hans-Werner Wahl
Seniorprofessor, Direktor des Netzwerks Alternsforschung
wahl@nar.uni-heidelberg.de
Buchempfehlung von der Redaktion
Die neue Psychologie des Alterns.
Überraschende Erkenntnisse über unsere längste Lebensphase.
Sie werden sich sicher wundern, dass ich Ihnen ein fast wissenschaftlich daherkommendes Buch empfehle! Und dann noch zu einem Thema, das so gar nicht zu meiner Zielgruppe passt. Aber altern wir nicht alle jeden Tag? Kürzlich beklagte sich eine junge Freundin bei mir: „Mein 40. Geburtstag steht kurz bevor, das ist der schlimmste Geburtstag, den ich mir vorstellen kann!“ Ich versuchte sie zu trösten, indem ich ihr erzählte, dass bei mir mit 40 die beste und produktivste Zeit angefangen hätte. Ob es ihr geholfen hat, weiß ich nicht.
Aber Ihnen allen, die Sie vielleicht ähnliche Vorstellungen haben, möchte ich dieses aufregende Buch „Die neue Psychologie des Alterns“ empfehlen. Der Heidelberger Alternsforscher Prof. Wahl räumt mit so ziemlich allen herkömmlichen Vorstellungen über das Alter auf. Oder hätten Sie gedacht, dass das Altern in Ihrem Kopf beginnt? Damit meine ich nicht, dass Gehirnzellen zugrunde gehen und Sie in der Demenz landen, sondern dass Ihre Einstellungen und Vorstellungen vom Altern bereits in jungen Jahren den Boden bereiten für ein zufriedenes und selbstbestimmtes Altern oder ein einsames und unglückliches „Dahinaltern“.
Der Autor macht an Hand vieler Studien deutlich, dass wir „unseres Alterns Schmied“ sind, dass wir bereits heute dafür sorgen können, wie wir im letzten Drittel unseres Lebens leben wollen. Deshalb informieren Sie sich in diesem Buch, damit auch für Sie und Ihre Lieben das Älterwerden seinen Schrecken verliert. Ein Mutmachbuch, nicht nur für alte Menschen!
Und wie denken Sie über das Älterwerden? Dann schreiben Sie doch einen Kommentar!
Ich spüre jetzt selbst was es heißt alt zu werden. Trotz schwerer Erkrankungen hatte ich vor Corona noch Spaß daran, Ausflüge oder Spaziergänge zu machen, durch die Geschäfte zu ziehen und in netter Gesellschaft irgendwo etwas Gutes zu essen. Jetzt bleiben nur die Spaziergänge, die mich immer noch hoch halten, aber der Rest fehlt. Alters- oder krankheitsbedingt nicht mehr auf lange Sicht planen zu können, das ist es, was im Alter ganz besonders fehlt. Früher hat man berufliche und private Erfolge angestrebt, das war erfüllend, aber ergibt jetzt keinen Sinn mehr. Das kann man auch beim besten Willen nicht mit den Standardtipps „Sport treiben“ oder „Seniorentreffs besuchen“ ausgleichen. Kontakt mit jüngeren Leuten kann helfen, ist im Moment aber schwierig, Meditation hilft, aufbauende Bücher lesen hilft, erheiternde Filme helfen, aber die fehlende Lebensperspektive kann auch das natürlich nicht vollständig ausgleichen.
Liebe Ariane,
da haben Sie völlig Recht! Wenn diese Isolation zu lange dauert, fehlen einem wirklich die körperlichen Kontakte mit anderen Menschen, auch wenn es „nur“ Blickkontakte sind oder Umarmungen, die wir früher bei jeder Begrüßung und Verabschiedung machen durften und im Nachhinein viel zu wenig gewürdigt haben. Rudolf Steiner hat es in seinem Ergebenheitsgebet vor über 100 Jahren mal so ausgedrückt: „Es gehört zu dem, was wir in dieser Zeit lernen müssen: Aus reinem Vertrauen leben, ohne Daseinssicherung, aus dem Vertrauen auf die immer gegenwärtige Hilfe
der geistigen Welt. Wahrhaftig, anders geht es heute nicht, wenn der Mut nicht sinken soll.“ Ja, wir haben viel zu lernen!
Hut ab, das sind sehr gute Tipps die sie alternden Menschen hier an die Hand geben.
Das wichtigste von allem ist meiner Meinung nach sich selbst nicht zu viel Druck zu machen und das Alter entspannt anzugehen. Negative Glaubenssätze (wie ich darf keine Falten haben o.ä.) über Bord werfen und das Leben nehmen wie es kommt. Dann strahlt man direkt innere Zufriedenheit aus und wirkt auch gleich nach außen vital und sympathisch.
Übrigens kann man auch im Alter noch viele Dinge tun um an sich zu arbeiten und etwas neues zu lernen – dem Leben einen Inhalt geben und sich nicht auf die faule Haut legen.
Die älteste Frau die noch angefangen hat zu studieren war 94. Einen Partner finden, das geht auch mit über 70 noch. Eine fehlerhafte Zahnstellung korrigieren – dafür gibt es auch durchsichtige Zahnspangen für Erwachsene.
Der Glaube, mit 55 Jahren zu wissen, wie das Altern zehn oder 20 Jahre später aussieht, ist definitiv ein Irrglaube.
Ein gutes Umfeld kann sich z.B. sehr plötzlich mit dem Tod des Partners verändern, gerade bei Frauen um die 60.. Der Bekannten/Freundeskreis wir plötzlich viel kleiner, die finanzielle Versorgung gerät nach Krankheit und Tod des Partners ins Schwanken. Wohlmöglich bleibt nicht viel vom alten Lebensstandart.Man gibt das Haus, die große Wohnung auf, notgedrungen findet sogar ein Ortswechsel statt. Bei allen guten Ratschlägen dieser Lektüre hier, ist den Schreibern offensichtlich die Konsequenz meiner Schilderung nicht klar. Was früher selbstverständlich zu finanzieren war, wie die gute Gesundheitsvorsorge, Urlaube und eine gute Ernährung- trotz Selbstkochen,, kann genauso flach fallen, wie der der gesellschaftliche Status oder ein nochmaliger, u.U. notgedrungener Eintritt in die Arbeitswelt: Plötzlich kann 60 sehr alt sein. Aus eigener Erfahrung hören sich dann die Meinungen und/ oder Tatsachen , wie “ Ehrenamt muss man sich leisten können“ , Kirchenchöre nehmen nur Neuzugänge bis 60 auf ( Ev.Kirche in Bremen),“ Bewegung ist alles“, „man muss doch nur offen bleiben“, wie blanker Hohn an. Was bis dahin eine eher unbedeutende Tatsache war, wird nun zum Hindernis.
Und vermutlich ist dies das Problem: Trotz eine positiven Einstellung zum Älterwerden , falle ich , nach 10 Jahren als Witwe, aus dem Raster. Es gelingt mir nicht ( mehr), ein Ziel zu finden, bei jedem Nein, bei jeder Absage einer Idee, mich wieder ins Gleingewicht zu bringen, eine sinnvolle Aufgabe zu übernehmen, Menschen kennen zu lernen, , ist mein einziges reales Ziel, das jeden Menschens: Das Lebensende.
Mit jedem Jahr wird es in meinem Leben außer viel Schönem, weitere Einschränkungen, Behinderungen oder Verluste geben.
Die Ratschläge, Ansichten zum Altwerden und zur Gesundheit Jüngerer, sind sicher wichtig, aber letztlich brauche ich- vermutlich kaum machbar, die Erfahrungen der Achzigjährigen…
Man braucht nicht die Erfahrung von anderen. (wobei eigentlich?) Man braucht nur sich selber, eine gute Selbstwahrnehmung und Achtsamkeit und bedingungslose Ehrlichkeit mit sich selbst. Dann kann sich im Inneren die Spreu vom Weizen trennen, weil ich immer klarer werde, über viele Dinge meines Lebens und letztlich über mich selbst. Und dann lerne ich, die kleinen Dinge, die mir etwas bedeuten, wahrzunehmen, sie also auch zu nehmen und zu genießen. Sie zu leben. Das ist wahre Lebensfreude und sehr bereichernd. Und was ich so genießen kann, das kann nur ich selber herausfinden. (Dazu braucht es auch gute Kontakte zu anderen, aber zuallerallererst braucht es mich selbst.)
liebe Angel,
das ist sicher richtig, was Sie schreiben. Aber die meisten Menschen müssen erstmal so weit kommen. Wenn wir klug mit den Erfahrungen anderer umgehen, können diese Impulse eine große Hilfe sein.
Meine Erfahrung ist, dass die ältere Generation in Ihrer Lebensplanung bzw. -vorstellung nie über einen Neuanfang im letzten Lebensdrittel nachgedacht hat. Nach dem was diese Generation im ersten Lebensdrittel bereits an traumatisierenden Erlebnissen durchgemacht hatte, war das Lebensziel vielfach ein friedliches Leben in einem gewissen Wohlstand und nicht die Selbstverwirklichung auch im höheren Alter.
Hinzu kommt vielleicht auch noch das lange gültige Bild der Großfamilie: Die Verantwortung wird mit dem Schwinden der eigenen Kräfte in die Hände der Kinder gegeben, man lässt sich „verdient“ versorgen. Nur dass dieser Lebensplan heute leider nicht mehr funktioniert wird verdrängt.
Der Gedanke an die eigene Gebrechlichkeit scheint für viele so schmerzhaft, dass nur die Verdrängung bleibt. Dass damit letztlich die Selbstbestimmung komplett abgegeben wird, wird in Kauf genommen.
Ich selbst versuche aufgrund dieser Erfahrungen mit den eigenen Eltern und Schwiegereltern bereits jetzt mit 55 Jahren über diese Phase nachzudenken. Ich möchte meinen Kindern die Verantwortung nicht aufbürden und habe auch schon die Erfahrung gemacht, zu wie wenig man noch motiviert ist, wenn die Gesundheit nicht mehr mitmacht. Also versuche ich die erforderliche Flexibilität im Denken schon heute „einzuüben“.
Liebe Luna,
vielen Dank für diesen klugen Kommentar! Retrospektiv habe ich den Eindruck, dass die erste Nachkriegsgeneration das Glück hatte, ihr Leben recht gut vorplanen zu können. Für die heute unter 50-Jährigen ist das viel schwieriger. Der finanzielle und berufliche Druck, die Minifamilien, die gleichzeitige Verantwortung für alte Eltern und kleine Kinder lassen für viele Menschen keinen Raum, sich mit sich selber und der eigenen Zukunft zu beschäftigen. Nicht umsonst explodiert der Bedarf an Psychotherapeuten und Coaches. Viele Grüße!
als geragogin beschäftige ich mich häufig mit dem thema altern,- oft eigenempirisch. dazu stell ich mir sehr oft die frage: was macht den menschen neugierig, offen…“wir lernen aus irritationen“ meinte einmal prof.kolland im studium. doch warum sind viele ältere menschen lernresistent und wollen sich so gar nicht diesen irritationen aussetzen. ist es einfach bequemlichkeit, angst, sich zu blamieren,…?