Das Rezept für ein gewaltfreies Frauenleben gibt es nicht. Die Zutaten dafür wären: Respekt, Selbstsicherheit, Fitness und Training von Selbstverteidigung.

Angst vor Gewalt ©Renate Schultze

Deshalb sei verflucht, wer Frauen Leid zufügt, denn das ist weder männlich noch gut,“ sagte bereits im Mittelalter der mittelhochdeutsche Dichter Hartmann von der Aue.

1999 schrieb Renate Schmidt, Bundes- Ministerin für Senioren, Familie, Frauen und Jugendliche, in ihrem Vorwort zur ersten repräsentativen Untersuchung zu diesem Thema in Deutschland: „Gewalt gegen Frauen und Mädchen gehört zu den schweren Menschenrechtsverletzungen“. Es dauerte bis Ende des 20. Jahrhunderts, bis solch eine Studie unter dem Titel „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland“ von unserer Bundesregierung in Auftrag gegeben wurde. Das Ergebnis gibt keinen Grund zum Frohlocken.

Inzwischen schreiben wir das Jahr 2017, und ich habe den Eindruck, dass sich diese beiden wichtigen Aussagen immer noch nicht herumgesprochen haben, und dass auch nicht danach gehandelt beziehungsweise „geurteilt“ wird. Nachdem ich vergangenen Februar, um 11.30 Uhr, mitten in meiner Heimatstadt auf offener Straße, zum wiederholten Male mit Gewalt konfrontiert wurde, habe ich beschlossen, meine Erfahrungen als Betroffene und auch als Trainerin für Selbstverteidigungskurse weiterzugeben.

Es war von Anfang an mein Wunsch, einen Ratgeber zu schreiben, der Möglichkeiten zur Sicherheit aufzeigt, ohne noch mehr Angst und Schrecken zu verbreiten. Dies erledigt ausgiebig die Sensationspresse. Erfreulicherweise bekam ich viele Tipps von früheren Selbstverteidigungskollegen, der Polizei und dem Landeskriminalamt Baden- Württemberg und Ratschläge von juristischer, medizinischer und psychologischer Seite. Sogar in einem Autohaus half man mir, Möglichkeiten aufzuzeigen, die klarmachen, dass unangenehme Situationen im Auto durchaus lösbar sein können, wenn „Frau“ sich der Technik bedient.

Prävention

Gewalt ausweichen ©Renate Schultze

„Der Gewalt auszuweichen ist Stärke“, schrieb Laotse.

Dieses Ausweichen sollte schon vor den „Anfängen von Gewalt“ stattfinden. Es geht um die Vorbeugung, die Prävention, und dabei erst einmal um das Sammeln von Erkenntnissen, Fakten, Wissen und Techniken. Das hört sich für uns Frauen doch gut an, da wir ja bereits seit Urzeiten als „Sammlerinnen“ unterwegs sind.

Um nicht in die Opferrolle, nicht in die Spirale aus Aggression, Wut und Schmerz, zu geraten, sammeln wir am besten als erstes Informationen, die uns Sicherheit und Lebensfreude schenken. Das bedeutet, wir arbeiten erst einmal an uns selbst. Jede Frau kann etwas für ihre Selbstsicherheit tun, für ihr Selbstvertrauen und für ihre Ausgeglichenheit.

Selbstsicherheit – Selbstbewusst sein – Selbstwahrnehmung

Selbstsicherheit setzt ein gesundes Selbstbewusstsein voraus. Dieses ist nicht angeboren. Es entwickelt sich von Kindheit an und bildet sich auch noch im Erwachsenenalter weiter aus – wenn wir es zulassen. Das ist die gute Nachricht.

Denn im Laufe des Lebens können Verletzungen, Gewalt, Angst und Enttäuschungen dem Selbstbewusstsein sehr zusetzen und es sogar in Unsicherheit und Ängstlichkeit umwandeln. Das ist die schlechte Nachricht.

Um mir meiner „Selbst bewusst“ zu sein, muss ich erst einmal wissen, wer und wie ich bin. Dazu brauche ich Selbsterfahrung und Selbstwahrnehmung. Mich selbst zu erfahren kann durchaus Spaß machen. Am besten probieren Sie in ihrem vertrauten Umfeld alles Mögliche aus und machen dabei die Erfahrung, wie Sie in den entsprechenden Situationen reagieren.

Natürlich kann da auch Angst oder Wut ins Spiel kommen. Das ist sogar wünschenswert, denn dann wissen Sie, wie sich diese Angst oder Wut anfühlt und sich in Ihrer Reaktion zeigt. So lernen Sie mit diesen Emotionen umzugehen. Nehmen Sie sich Zeit, um sich selbst „wahrzunehmen“. Mit dieser Erkenntnis fällt dann eine große Portion Unsicherheit von Ihnen ab, und Sie werden sicherer. Es fällt Ihnen nicht mehr schwer, laut und klar NEIN zu sagen! Und dieses Nein auch einzufordern.

Umgang mit der Angst

Angstmomente überwinden ©Renate Schultze

Lassen Sie sich von „Schreckensmeldungen“ nicht verrückt machen! Wenn Sie vor einer Situation Angst haben, dann schauen Sie diese genau an. Das ist wichtig, damit die Angst Sie nicht lähmt und die Lebensfreude raubt.

Betrachten Sie den „Angstmoment“. Schon zwei Fragen helfen weiter!

  1. Wovor genau habe ich Angst? – Schreiben Sie auf, wovor Sie Angst haben.
  2. Was kann ich tun, damit Angst mich nicht belastet und blockiert?

Und nun nutzen Sie Ihre Möglichkeiten.

Mögliche Antworten:

  • Können Sie einen anderen Weg nehmen?
  • Sich eine Begleitung suchen?
  • Sich von der Polizei helfen lassen?
  • Einen passenden Selbstverteidigungskurs besuchen?
  • Oder Sie kaufen sich erst mal einen Schrillalarm (aber bitte einen sehr lauten! Billigangebote um die 100 Dezibel sind ungeeignet!) oder eine Trillerpfeife.

Nutzen Sie jede Technik und jede Person, die Ihnen helfen kann. Sie sind fähig, zu denken und zu handeln! Deshalb sind Sie Ihrer Angst nicht hilflos ausgesetzt! Lernen Sie diese Angst in ihrer eigentlichen Funktion zu nutzen: als Frühwarnsystem, um Ihr Überleben zu sichern!

Seien Sie also bitte nicht ängstlich – seien Sie vorbereitet! 

Sie müssen nicht unbedingt selbstverteidigungsspezifische Maßnahmen ergreifen. Eine Methode erlernen, um Ihren Atem zu beruhigen, lässt einen großen Stressfaktor wegfallen, wenn es zu einem Angriff auf Sie kommen sollte.

Sie gehen Joggen für Ihre gute Figur und erwerben damit die Fähigkeit, in einer brenzligen Situation schnell weglaufen zu können. Denn der beste Kampf ist immer der, welcher nicht stattfindet. Gewalt auszuweichen zeugt von Stärke!

Jede Gewaltaktion ist eine zu viel

Mutter mit Kind ©Renate Schultze

Ich möchte keine Schönmalerei betreiben…jede Gewaltaktion ist eine zu viel und muss geahndet werden! Doch wieder einmal sind wir Frauen gefordert. Es geht darum, unsere über Jahrzehnte erarbeiteten und erkämpften Freiheiten zu erhalten. Also, tun wir etwas für uns und unsere Sicherheit!

Manchmal scheinen mir allerdings Vorschläge und Forderungen, wie Frauen sicherer leben können, an der falschen Stelle anzusetzen.

Beispiele:

Gewalt gegen Frauen 70+

So berichtete z.B. die Presse über gehäufte Angriffe auf Frauen im Alter von 70 plus. Alle nach demselben brutalen Schema. Die Opfer wurden zu Boden gerissen oder die Treppe hinuntergestoßen, die Handtasche und, falls vorhanden, die Halskette vom Hals gerissen.

Gewalt gegen junge Frauen

Oder: Eine junge Mutter fragte mich nach einem Vortrag. Sie ginge gerne mit dem Kinderwagen am Waldrand spazieren. Nun sei da ein Flüchtlingsheim entstanden, und die Blicke und Pfiffe, denen sie nun auf ihrem Spaziergang ausgesetzt sei, würden ihr Angst machen. „Ich bin den Weg schon als Kind gerne gegangen, aber nun habe ich nicht nur Angst um mich, sondern auch um mein Baby.“

Ich konnte dieser Mutter nichts anderes raten, als den Weg nicht mehr zu gehen, vor allem nicht alleine.

Wandel der ethischen Werte in unserer Gesellschaft

Da stellt sich mir doch die Frage:

Welchen Wandel haben die menschlichen, ethischen Werte unserer Gesellschaft genommen?

Ich kann doch weder von einer jungen Mutter noch einer älteren Frau verlangen, dass sie für ihre Sicherheit 3-4-mal wöchentlich einen Selbstverteidigungskurs besucht, um Techniken, wie Schlagen, Treten und Boxen zu lernen. Die Mutter eines Kleinkindes hat nicht die Zeit dazu und die Seniorin nicht die Kraft. Auch können wir Frauen in Kursen nicht so viel Kraft wie ein Mann aufbauen, besonders, wenn Schlagen nicht unser Ding ist.

Ich denke, hier wird das Pferd am Schwanz aufgezäumt. Wäre es nicht sinnvoller, das Alter und die Mutterschaft einer Frau und die berechtigte Existenz jeder Frau, als körperlich schwächere Person zu achten und zu respektieren?

Die Damen 70 plus haben sich diesen Respekt mehr als verdient: Wer spricht von ihren traumatischen Erlebnissen im und nach dem Krieg? Ihre Jugend verbrachten sie mit der Arbeit für den Wiederaufbau- dem Aufbau, der die Grundlage unseres heutigen Wohlstandes bildete. Ihnen gehört Dank und Respekt.

Ein Kind und eine Mutter zu verängstigen oder zu bedrohen ist wohl das Übelste, was man tun kann.

Wohlgemerkt:

Ich fordere keine Bürgerwehr!!!!!

Ich fordere Respekt und Anstand!

Es ist meiner Meinung nach dringend an der Zeit, dass wir Frauen, neben allen persönlichen Bemühungen zur Selbstverteidigung, auf unseren Stellenwert in der Gesellschaft aufmerksam machen!

Fordern wir den uns gebührenden Respekt ein.

Das geht auch mit einem Lächeln.

Über die Autorin

Barbara Reik ist Tai Chi Lehrerin, Fitness-und Wellness Trainerin. Sie gibt ihr Können und Wissen nicht nur in lokalen Kursen weiter, sondern hält auch überregional Vorträge. Sie ist Autorin mehrerer Bücher. In Theaterstücken und Lesungen weckt sie das Interesse an der Geschichte ihrer Heimat und der Staufer Dynastie.

Und das schreibt die Autorin Barbara Reik selber über sich:

In einer Zeit, in der die Medien tagtäglich über Gewalt an Frauen berichten, ist es mir ein Anliegen, für die Sicherheit und Lebensfreude der Frauen zu schreiben. Zum einen, was wir tun können, um die Gewalt nicht zuzulassen, zum anderen, wie wir die Spirale der Gewalt durchbrechen können. Denn das Leben geht auch nach einer Gewalttat weiter… und es sollte gut weiter gehen!“

Kontakt

Barbara Reik
Bewegungswelt Tai Chi
Klingenäcker 10
73035 Göppingen
tel. 07161 14594
email: mail@taichi-reik.de
www.taichi-reik.de  
http://www.barbarossa-und-die-waescherin.de/

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Sicher als Frau

So schützen Sie sich vor Übergriffen

Seit über einem Jahr geht bei uns Frauen die Angst um: Flüchtlingslager in der Nachbarschaft, herumlungernde junge Leute, die uns belästigen, Amokläufer in Supermärkten usw. Jeder kennt irgendjemanden, der angegriffen, bestohlen oder verfolgt wurde. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns nicht panisch machen lassen, sondern uns mit unserer Angst auseinandersetzen und ganz rational einen Präventions- und Notfallplan aufstellen.

In diesem Ratgeber arbeitet die Selbsthilfe-Expertin Barbara Reik systematisch die Situation der möglicherweise bedrohten Frau auf, gibt aber auch Hinweise für Frauen, die schon Gewalt erlebt haben. Sie erklärt, warum Angst etwas ganz Wichtiges ist, Angst, die lebensrettend sein kann. Wenn Angst aber unseren Alltag beherrscht und uns handlungsunfähig und unglücklich macht, dann ist es an der Zeit, etwas zu unternehmen.

Die Autorin gibt viele wichtige Tipps für Jung und Alt, wie frau sich vorsorglich und im Akutfall verhalten kann. Übersichtliche Checklisten machen es einfach, mit verschiedenen Situationen umzugehen. Einfache Abwehrübungen sind skizziert. Wichtige Telefonnummern für den Notfall ergänzen das Buch.

Dieser kompakte Ratgeber gehört in jeden (Frauen)Haushalt, bereits Ihr Teenager sollte den Inhalt kennen und sich damit auf „die Welt draußen“ vorbereiten können.

Hat Ihnen dieser Text geholfen? Was werden Sie für ihre Sicherheit unternehmen? Dann schreiben Sie doch einen Kommentar!

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